Will nicht immer die warme Wolke sein

Ulrike Neradts Auftritt bei "Menschen lesen im Hotel" / Mit der Fürstin beim Friseur

Von
Angelika Eder

WIESBADEN. Öffnet eine hübsche Frau den Mund, spricht in breitestem Dialekt und verliert dabei für keinen Anwesenden etwas von ihrer Attraktivität, kann es in Hessen nur eine sein: Ulrike Neradt. Und so war es bei der Veranstaltung des Prassee-Kulturmanagements im Schwarzen Bock: Die gebürtige Martinsthalerin, seit 1972 einzige Deutsche Weinkönigin aus dem Rheingau, zeigte sich im ersten Teil der Lesung allerdings von ihrer ernsten Seite: "Wissen Sie, ich will nicht immer nur ,die warme Wolke´ sein", hatte sie zuvor im Gespräch mit dieser Zeitung erklärt.

Und so eröffnete sie ihr Programm über Rheingauer Frauen mit der Autobiographie der Tatiana Fürstin von Metternich-Winneburg, die lange Jahre mit ihrem Mann auf Schloss Johannisberg gelebt hatte. Neradt kannte sie von verschiedenen Anlässen persönlich, spielte das aber strahlend herunter: "Beim Friseur saßen wir nebeneinander: Fürstin von Metternich, Gräfin von Elz, Baronin von Oetinger und ich, die Weinkönigin." Mit ihrer ebenso herzlichen wie direkten Art nimmt sie die Zuhörer sofort für sich ein - ganz besonders aber eben doch "als warme Wolke", wenn sie aus den Mundartwerken ihrer verstorbenen Freundin und Mitbegründerin des "Rheingauer Mundartvereins" Hedwig Witte liest: "Drum pflegt die Männer un die Zähn´ und kümmert Euch auch drum! Es is - wann die zwei von Euch gehn - des Best´ vom Lewe rum."

Und dann stellte Ulrike Neradt mit ihren eigenen autobiographischen Kindheits- und Jugenderinnerungen, deren dritter Teil im Werden ist, eindrucksvoll unter Beweis, dass auch sie selbst höchst lebendig und unterhaltsam in Mundart schreiben kann. So ließ sie die Zuhörer an ihrer Kommunion teilnehmen, vor der sie beichten musste, jüngere Geschwister geohrfeigt oder dünn gepetzt sowie einem Mückchen ein Bein ausgerissen zu haben.
Wie viel unterhaltsamer klang das doch in Hessisch...

Für die musikalische Untermalung sorgte die russische Pianistin Polina Stevchanska. Und auch in diesem Zusammenhang gab Neradt alles andere als eine künstlerisch abgehobene Erklärung ab. "Ich hab´ halt gedacht, das macht sich bei der Lektüre der Fürstin ganz gut und gibt dem Ganzen einen internationalen Touch", lachte die Frau, die seit 1990 Karriere als Diseuse, literarische Kabarettistin und Fernsehmoderatorin machte.

Als beim "Fröhlichen Weinberg" Sternekoch Johann Lafer von Marc Marshall abgelöst wurde und sie eigenem Empfinden zufolge zur Kochtipp-Geberin degradiert werden sollte, beendete sie diese Fernsehauftritte, obwohl ihr das, wie sie freimütig einräumte, sehr weh getan habe. Dass sie jedoch weiterhin auf neue Herausforderungen zählen kann, beweist ihre Verpflichtung in Bad Ems für die Rolle der "Öffentlichen Meinung" in der Operette "Orpheus in der Unterwelt" von Jacques Offenbach.

Und dass die reale öffentliche Meinung sie auch ohne TV-Auftritte weiterhin sehr schätzt, zeigte sich bei ihrer Lesung im Hotel: Zahlreiche Gäste waren gekommen, obwohl draußen schönstes Sommerwetter lockte und das EM-Fußball-Finale unmittelbar nach Veranstaltungsende anstand. Doch allein ihre Jugenderinnerungen an den Starschnitt von Pierre Brice, demzuliebe sie keine der "54" Bravos versäumen durfte, damit am Ende nicht etwa ein Knie oder Finger des Idols fehlte, waren es wert...
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